Und neues Leben blüht aus den Ruinen…
Im Juli 1945 setzte die kreismäßige Verpflegung ein. Es gelang, 37 Kühe aus den südlichen Dörfern wieder zurückzuholen, die Bauern glichen unter sich den Viehbestand aus — erstaunlich schnell wurde der normale Bestand wieder erreicht.
Unter der tatkräftigen Unterstützung des selbst aus der Weberei stammenden Bürgermeisters Gärtner wurde unsere Industrie wieder in Gang gebracht — obwohl die Schwierigkeiten erst unüberwindlich schienen.
Es fehlte völlig an Heizmaterial. Der Bürgermeister organisierte einige große Einsätze aller noch verfügbaren Fahrzeuge zum Kohle holen aus der Grube Zeißholz. Die Bauern fuhren früh gegen 3 Uhr los und kamen gegen Mitternacht zurück. Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Königsbrück wurde Brennholz geschlagen.
Alle Restbestände an Material wurden zusammengesucht, und schon Ende Juni klapperten die ersten Webstühle wieder. Allmählich fanden sich die alten Belegschaftsmitglieder wieder ein — sie kehrten zurück aus der Gefangenschaft — von der Flucht. In ihren Augen stand geschrieben, was sie alles an körperlichen und seelischen Leiden hinter sich hatten, aber am nächsten Tage standen sie schon wieder an ihrem alten Arbeitsplatze, denn das Leben mußte wieder einen Sinn bekommen. In die Lücken, die der Krieg gerissen hatte, traten Ohorns Neubürger, Weber aus den Orten um Schluckenau und Rumburg. Auch in der Maschinenfabrik von C. H. Schäfer, die zu 70 Prozent in Schutt und Asche lag, regte sich bald wieder neues Leben. Der Stamm der alten Belegschaft räumte in freiwilligen Einsätzen auf, barg Maschinen aus dem Schutt und setzte sie wieder instand. Und wenn auch nicht gleich wieder Präzisionszahnräder und Getriebe entstanden, so wurden erst einmal Trittroller und kleine Gebrauchsgegenstände gebaut — der Anfang war wieder gemacht und es ging wieder aufwärts. 1949 hatte die Firma bereits wieder 84 Belegschaftsmitglieder und das alte Fertigungsprogramm: Textilmaschinen, Zahnräder, Teile für Autos, Zahnradgetriebe läuft wieder an.
Bei der Firma Geyer & Co. war der Hauptbetrieb ebenfalls bis auf die Grundmauern zerstört, im Nebenbetrieb und in gepachteten Räumen wurde aber die Produktion sehr bald wieder aufgenommen, an Stelle des Asbestes wird Glasgespinst zu Geweben und Bändern verarbeitet. Die Firma Lederkaiser wurde als volkseigener Betrieb bald wieder in Gang gebracht, sie nennt sich nunmehr Lederwarenfabrik Ohorn VEB.
Mit der wieder beginnenden Arbeit kam das Altagsleben wieder in seinen gewohnten Gang. Die Kinder gingen nach langer Pause wieder zur Schule. Neuer Lebensmut zog in die Herzen ein, ganz allmählich vernarbten die vielen schmerzenden Wunden des Krieges. Viel Not konnte gelindert werden durch die Einrichtung der „Roten Hilfe“. Aus der „Roten Hilfe“ ging später die „Volkssolidarität“ hervor.
Auch politisches Interesse wurde wieder wach nach zwölfjahrelanger politischer Bevormundung durch den Nationalsozialismus.
Die SPD wurde unter dem Vorsitz von Paul Gärtner wieder neu gegründet. Eine Ortsgruppe der KPD bildete sich ebenfalls. Allwöchentlich fanden sehr gut besuchte Diskussionsabende statt, sie zogen sich oft bis Mitternacht hin — erst dann trennte man sich mit heißen Köpfen. Man wußte, Vergangenes kann man nicht einfach wieder lebendig machen, über den neuen Weg und die neuen Ziele herrschte noch manche Unklarheit. Im Juni 1946 vereinigten sich beide Ortsgruppen zur Ortsgruppe Ohorn der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Wenig später entstanden Ortsgruppen der Liberal-Demokratischen Partei, der Christlich-Demokratischen Union (CDU), der Demokratischen Bauernpartei, dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) traten in mehreren Betrieben die Belegschaften fast hundertprozentig bei.
Die Gemeindewahlen im Jahre 1946 ergaben in Ohorn 8 Vertreter der SED, 5 der CDU und 3 der LDP. Mit 11 von 16 Stimmen wurde der bisherige kommissarische Bürgermeister Richard Gärtner wieder gewählt. Die Ortsgruppen entsandten außerdem ihre Vertreter zum Antifaschistischen Block. In erfreulicher Zusammenarbeit rückte der „Block“ manchem schier unlösbar erscheinenden Problem erfolgreich zuleibe. Neben dem „Block“ bildete sich angesichts der unseligen Zerreißung Deutschlands in Zonen die überparteiliche Nationale Front, die in unermüdlicher Aufklärungsarbeit auch dem letzten Ohorner Einwohner klarzumachen versuchte: Deutsche, seid einig, einig, einig.