Ohorn – Das Bürgerportal

Ohorns Industrie

Die Bandweberei und die Bandkonfektion

Bis zur Einführung der Bandweberei war Ohorn ein reines Bauerndorf. Ueber den Einzug der Bandmacherei in unseren Ort schreibt der von 1812 bis 1837 in Ohorn amtierende Lehrer Kleinstück:
„Dieselbe verpflanzte sich von Großröhrsdorf nach Pulsnitz; von wo dieselbe nach Ohorn gelangte, ist unentschieden. Hier war ein gewisser Michael Prescher, gewöhnlich der alte Bandmacher geheißen, der erste in dieser Profession. Doch brachten dieselbe erst dessen Lehrlinge und Gesellen in Flor. Dieser Prescher war 1712 geboren und ist, wenigstens 30 Jahre alt, nach Ohorn gekommen. Man kann somit die erste Hälfte der 1740er Jahre als Zeit der Einführung dieses Gewerbes in Ohorn betrachten.“

Michael Prescher — der alte Bandmacher — bewohnte das Haus Nr. 162 im Mitteldorf, die heutige Schmiede. Er scheint ein vielseitig interessierter Mensch gewesen zu sein. Gleich mit Lehrlingen und Gesellen ein bisher völlig unbekanntes Gewerbe aufzuziehen und zu betreiben, zeugt von allerhand Unternehmungsgeist. Gleichzeitig hatte er einen Kramladen. Er war aber auch der Wilddieberei ergeben und wurde 1770 wegen Herumziehens und Schießens mit der Flinte zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. In den Steuerspecifikationen des Rittergutes wird er in den Jahren 1770, 71, 72, 75 immer wieder als Restant bezeichnet. Seine Steuerschulden beliefen sich 1775 bereits auf 5 Taler und 16 Groschen. Um sein Bandmachergeschäft scheint er sich immer weniger gekümmert zu haben. Er überließ es zuletzt ganz den beiden Gehilfen Andreas Rammer und Schreyer. In seinem Heimatspiel „Michael Prescher" hat der Bearbeiter dieser Zeilen versucht, diesem interessanten Menschen ein Denkmal zu errichten, indem er ihn in den Mittelpunkt der Geschehnisse dieser Jahre setzt und ihn zum Wortführer der auf-ständigen Bauern und Häusler macht.

Preschers Bandmachergesell Andreas Rammer machte sich selbständig. Sein Sohn, Johann Gottlieb Rammer, erbaute das Haus Nr. 148, er nannte sich 1780 bereits Bandfabrikant. Sein jüngster Sohn, der Enkel des Bandmacher-gesellen Andreas, kaufte das Grundstück 1824 für 100 Taler und gründete damit die heute noch bestehende Firma Friedrich Joseph Rammer. Der heutige Inhaber, Herr Alwin Rammer, ist der Enkelsohn Friedrich Joseph Rammers. Er erbaute 1904 mit seinem Bruder Franz das heutige Fabrikgebäude im Oberdorf. 1926 schied der Bruder Franz infolge seiner Wahl zum Ohorner Bürgermeister aus der Firma aus. Neben der genannten Firma gab es bereits um 1800 eine ganze Reihe Bandwebereien in Ohorn. Drei Brüder Friedrich Joseph Rammers betrieben ebenfalls Bandfabrikation, außerdem wurden damals genannt: Karl Gottlieb Müller, Johann Gottlieb Hübner, Karl Friedrich Philipp und Christian Gotthilf Großmann.

Die Rittergutsherrschaft versuchte mit allen Mitteln diese Entwicklung zu hemmen. Die Bandmacher wurden der Herrschaft zu selbständig und widerspenstig. Für jeden Stuhl mußten beim Aufstellen 21 Groschen entrichtet werden. Das jährliche Stuhlgeld betrug 5 bis 7 Groschen. Auch die Bauern sahen diese Entwicklung nicht gern. Ihnen gingen die Arbeitskräfte für die Landwirtschaft verloren. In einer Eingabe des Jahres 1765 schrieben sie: „Die Häusler, die größtenteils Bandmacher und Leineweber sind, von denen einige 7 bis 8 Stühle stehen haben, nehmen uns die Arbeiter zur Feldbestellung und zur Ernte weg, dadurch wird der Feldbau zurückgesetzt, was auf die landesherrlichen Interessen nachteilig wirken muß. Denn die Häusler verdienen mit ihrem Gewerbe nicht mehr als die Bauern, sie thun sich aber nichtsdestoweniger bei allen Gelegenheiten hervor und verzehren viel Geld. Ihre Töchter kleiden sich wie Bürgertöchter über ihren Stand, daraus allerlei Unordnungen entstehen.“

Die Bandweber arbeiteten anfangs auf Stühlen mit nur einem Gange und handhabten den Schützen unmittelbar mit der Hand. Erst zu Anfang des 18. Jahrhunderts wurden mehrgängige Stühle eingerichtet, die aber — so schreibt Prasser 1869 - „unter den Bandmachern großen Aufruhr erregten, so daß sie deswegen beim Churfürsten Klage erhoben und ein Verbot derselben zu Wege brachten. Erst 1765 wurden sie wieder gestattet“. 1813 brachte ein gewisser Schlotter die Gurtweberei aus der Schweiz nach Bretnig und von da auch nach Ohorn. Eine große Belebung brachte die Erfindung der Jaquard-Weberei — ebenfalls kurz nach 1800. 1857 kamen die ersten mechanischen Webstühle aus England. 1855 war bei Joh. Gottfr. Schöne in Großröhrsdorf die erste Dampfmaschine aufgestellt worden. 1858 wurden in der Großröhrsdorfer Maschinenfabrik von Hesse die ersten Dampfmaschinen hergestellt und an die Fabriken geliefert. Nach Ueberwindung vieler Schwierigkeiten liefen nun die ersten mechanischen Webereien. Interessant ist Prassers Stellungnahme zu dem Problem der Haus-Industrie:
„Man hat diese Einrichtung Hausindustrie genannt, und zwar im Gegensatz zu denjenigen Fabriken, in welchen sich alle Arbeitskräfte koncentrieren müssen. Darum ist hier gar manchmal auch ein bescheidenes Haus der Mittelpunkt eines bedeutenden Geschäftes. Die Hausindustrie ist anerkannt eine sehr segensreiche Institution und dem Fabrikleben nicht nur in lucrativer, sondern auch in moralischer und patriarchalischer Hinsicht bei Weitem vorzuziehen. Der Hausvater wird seiner Familie nicht entfremdet, er steht stets als Sorger, Erzieher, Berater, Beschützer in deren Mitte, seine arbeitstüchtigen Söhne und Töchter behält er unter seiner steten Aufsicht, und sie kommen nicht so leicht in Gefahr, durch böse Beispiele in allerhand moderne Laster zu verfallen.“ Ueber Ohorns Bandweberei schreibt Prasser im selben Jahre 1869: „Man kann die erste Hälfte der 1740er Jahre als die Zeit der Einführung dieses Gewerbes in Ohorn betrachten. Vor 30 bis 40 Jahren stand die Bandweberei hier mehr in Blüthe als gegenwärtig, denn es besteht hier nur noch ein größeres Geschäft, nämlich unter der Firma Friedr. Jos. Rammer, dagegen deren ehemals 6 bis 8 in hiesigem Orte zu finden waren. Eine Hauptursache zu dieser Erscheinung liegt in dem Mangel an einem ausreichenden fließenden Gewässer, ohne welches heut zu Tage eine Band- und Leinwandfabrik nicht gut aufkommen kann. Die Pulsnitz, nebst den ihr hierorts zufließenden Wasseradern vertrocknen zu manchen Zeiten fast gänzlich, und soviel man sich auch schon bemüht hat, an und in dem östlich gelegenen Schleißberge Quellen zu finden, ist es doch bis heute noch nicht gelungen.“
Nach der ersten schnellen Entwicklung scheint also sehr bald eine Absatzstockung und damit ein Rückgang der Ohorner Industrie eingetreten zu sein. Sehr aufschlußreich sind folgende Aufzeichnungen in den statistischen Tabellen des Rittergutes: „Bei der jetzigen Zeitperiode, wo, wie überall die Klage ist, daß die Geschäfte nicht nach Wunsch gehen, arbeiten viele Weber und Bandmacher nur temporär (zeitweise). Die Weber können ihre groben Schocke — 60 Ellen groben, langen Leinwanden nicht immer und auskömmlich bei den Leinwandsammlern absetzen, und die Bandmacher — die meisten arbeiten ums Lohn für die Pulsnitzer und andere Messe- und Jahrmarktsbezieher — bekommen nicht vollauf Garn zum arbeiten. Diese Umstände nun nötigen viele, daß sie Hand- und Tagearbeit suchen müssen, um sich nur auf eine Art etwas zu verdienen. Mancher hat eine Frau und drei bis vier Kinder am Brode, der nur 12 Gr. — schreibe zwölf Groschen — bei Fleiß und Anstrengung sich wöchentlich verdienen kann. Können nun solche nicht auf eine Art etwas und mehr verdienen und gerathen ihnen dabei die Erdbirnen nicht und es kommt noch ein harter Winter dazu, wo sie zur Feuerung viel kaufen müssen: dann sind sie gar übel dran, sie sind froh, wenn sie geborgt bekommen und mancher macht und geräth in Schulden bis über die Ohren . . .“

Von den genannten Betrieben überstand als einziger die Firma Friedr. Joseph Rammer diese Krisenjahre.

Doch schon um 1880 ist die Stockung überwunden. Die Absatzmärkte wurden erweitert, unsere Fabrikanten reisten alljährlich auf die Messen in Leipzig und Frankfurt an der Oder. Ein Lastwagen wurde mit Ware vollgepackt, denn die Messen waren Warenmessen, keine Mustermessen wie heutigen Tages; alles, was fabriziert worden war, wurde gleich an Ort und Stelle gegen blanke Taler verkauft. Die Reise nach Leipzig dauerte drei Tage. Mancher kleine Fabrikant in unserer Gegend konnte sich kein Fuhrwerk leisten. Er lud seine Ware auf eine Schubkarre — einen Schiebbock — er kaufte sich ein Paar neue Holzpantoffeln (um sie zu schonen, wurden sie nur beim Passieren der Ortschaften angezogen, dann kamen sie wieder auf den Schiebbock und es ging barfuß weiter). Die Bischofswerdaer werden heute noch oft „die Schiebocker“ genannt. In den sogenannten Gründerjahren nach dem Deutsch-Französischen Kriege entstanden in Ohorn eine Reihe neuer Fabriken. Von den im Bezirk vorhandenen rund 1000 Webstühlen entfallen auf Ohorn mehr als ein Drittel.

1889 wurde die Firma Robert Emil Schöne gegründet; der jetzige Inhaber, Herr Georg Benkert, ist der Schwiegersohn des Gründers. 1898 entstand die Fabrik in der Fuchsbelle. Zu Beginn des ersten Weltkrieges wurde die von der Firma Oswald neben der Schule erbaute Fabrik als Zweigbetrieb übernommen. Vor dem ersten Weltkriege und nach dem Kriege bis 1933 fertigte die Firma fast ausschließlich Exportartikel, es waren hauptsächlich Gürtel in JaquardWeberei, die nach Süd- und Mittelamerika, nach Ostasien und Indien gingen. Seit der Erfindung des Reißverschlusses ist die Herstellung von Reißverschlüssen ein wichtiger Faktor im Fertigungsprogramm, außerdem werden Binden für medizinischen Bedarf hergestellt, durch Aufstellung von schweren Stühlen im Zweigbetrieb wurde die Herstellung von Polstergurten ermöglicht und aufgenommen.
Ebenfalls 1889 entstand die Fabrik von Bernhard Rammer.

Im Mitteldorf gründeten Emil und Franz Schäfer ihre Betriebe. Der Betrieb von Franz Schäfer erlangte als Besatzfabrik besonderen Ruf. Im JaquardVerfahren werden farbenprächtige Muster in die Bänder eingewebt. Das Festabzeichen für das Heimatfest wurde hier gewebt. 1891 wurde der Betrieb Mütze in der Fuchsbelle gegründet.

Seit 1745 klappern in Ohorn die Webstühle

Einige Betriebe beschäftigen fast ausschließlich Heimweber und konfektionieren die Bänder zu Hosenträgern und Sockenhaltern, zu Schnürsenkeln und vielen anderen Dingen. Es sind vor allem die Firmen Emil Schöne und Max Philipp zu nennen. Eine ganze Reihe kleinerer Betriebe befassen sich nur mit der Konfektion des Bandes. Ohorner Hosenträger und Sockenhalter gingen und gehen bald wieder in alle Welt.

Die Asbestwaren-Fabrik von Geyer & Co. wurde in den Jahren großer Arbeitslosigkeit von Dresden nach Ohorn verlegt. Die Belegschaft stieg bis 1939 auf 128 Personen. Asbest ist ein grauer, fettiger Stein. Er wird aus Kanada, Südafrika, Australien und aus dem Ural importiert. Von diesem Stein lassen sich mühelos Fasern abziehen, die zu geschmeidigen, glänzenden Fäden versponnen und verwebt werden. Man fertigt Asbestgewebe und Asbestbänder an und konfektioniert sie zu Arbeitsschutzkleidern. Auch unbrennbare Bremsbänder werden gewebt. Infolge der Asbestknappheit verarbeitet man auch Glasgespinste zu Geweben und Bändern.

Die für Ohorn charakteristische Hausweberei ist stark zurückgegangen. Noch vor 20 Jahren klapperten Webstühle fast in jedem Haus. Heute ziehen es die ehemaligen Hausweber vor, in einem Fabrikbetrieb zu arbeiten. Heimarbeit wird in der Bandkonfektion ausgeführt.

Zu erwähnen sind noch die Flechtereien oder Riemendrehereien, in denen Hosenträger-Biesen und ähnliches hergestellt werden.