Ein Blick vom Berliner Fernsehturm nach Ohorn/OL
Wie schnelllebig doch die Zeit ist, sogar in Ohorn. Kaum war man vom Landkreis Kamenz nach Bischofswerda gewechselt, so ist man inzwischen wieder im Kreis Kamenz gelandet. Ohorn ist ein Ort der Pendler und pendelt hin und her. Mich sollte es nicht wundern, wenn die plötzlich zu Radeberg gehören oder, der Autobahn folgend, in Bautzen landen.
Auf jeden Fall besitzt Ohorn stets mehrere Bedarfsebenen. So erging es auch der Jugendherberge, wo man sogar in Gruppen übernachten kann, sie heißt plötzlich Schleißbergbaude, und wer sich verspricht, kann ungewollt was anderes raushauen. Für die alten Hasen bleibt's bei Jugendherberge, weil sie das so gelernt haben.
Mitten durch Ohorn schlängelt sich die Autobahn Dresden - Bautzen und trennt den Ort wie 'ne Obsttorte in zwei Teile. Doch man hat zwei Brücken, und Unterführungen gibt es auch, sogar im Niederwald. Als ich erstmals den Schallschutz der Autobahn sah, empfand ich ihn als naturwidriges Element, ein Sperrgebiet, mit dem man vorlieb nehmen muss. Mir fiel als Vergleich die Berliner Mauer ein, aber die war bekanntlich nicht grün. Aber "grün" ist mir die Sache auch nicht. Viele Bäume müssten gepflanzt werden, um nachfolgenden Generationen den heutigen Anblick zu ersparen. Dieses seltsame Bauwerk muss unbedingt kaschiert werden, bevor es als grünes Ungeheuer Karriere macht. Malerisch? Nein.
In vergangener Zeit trennte das im Oberdorf entspringende Flüsschen "Pulsnitz" Ohorn in zwei Reiche: Böhmen und Meißen. Wenn man nach Pulsnitz kommt, wird auch heute noch von der "Meißner Seite" gesprochen. Hier durfte der Ort sogar in zwei Ländern rumpendeln. Das Schloss heißt auch nicht mehr Schloss, es gehört zum Rittergut mit Senioren-Residenz - das klingt für Ohorn einigermaßen angemessen. Da hat doch schon mal ein gestrenger Häuptling residiert. Preußen hatte seinen Friedrich und war's zufrieden. Ohorn war in dieser Hinsicht schneller, sozusagen Vorreiter, denn man hatte schon im 16. Jahrhundert auf einen Friedrich setzen müssen: "Friedrich der Strenge". Das riecht nach Zucht und Ordnung.
Wenn man den riesigen Berg der Ohorner Poststraße erklimmt, landet man zwar auf einer Anhöhe, doch niemals bei der Post. Die gibt's gar nicht. Geschichte. Die wurde weggependelt. Das Teilfachwerk am Gebäude hat man bisher so gelassen. Die architektonische Physiognomie ist malerisch. Daneben steht 'ne Dicke rum und erinnert an die "Dicke Berta". Berta passt nicht so recht in die übrige Häuserlandschaft. Auf dem Dach der Dicken ein Pickel, ein Aufsatz, und man grübelt, ob es sich nun um eine Wetterwarte der ARD handeln könnte oder ob da Beobachtungen am nächtlichen Ohorner Himmel angestellt werden. Verweilt man in den Abendstunden oder am Sonntag in der Nähe der Dicken, beginnt die Wetterstation zu läuten. Manchmal. Da sitzt sicher einer mit 'ner ABM-Stelle drin und schwenkt die Glocke für's Abendgebet. Nanu, aber wo ist die Kirche? Ja, also 'ne Kirche gibt's in Ohorn nicht, man soll's mit der Heiligkeit nicht gleich übertreiben wollen. Im hinteren Trakt wurde ein Betsaal geschaffen, er ist das Anhängsel einer ehemaligen Dampfmühle. Die Ohorner sind die einzigen in der Welt, die in einer ehemaligen Dampfmühle beten. Aber irgendwie passt das zu Ohorn, dem staatlich anerkannten Erholungsort. Deshalb ist die Architektur so globig geraten. Geschichtsträchtig spricht man vom Kirchlehn, weil der Saal sich hinten anlehnt.
Ohorn besitzt ein Heimatmuseum und bietet auch Radwanderungen in die Oberlausitz an. Leute, die nicht viel Zeit in eine solche Radtour investieren wollen, fahren am besten von der Mittelschänke bis zum Dorfteich, wobei in etwa zwei Minuten mit Anlauf einkalkuliert werden müssen. Wahrscheinlich hat man noch gar nicht bemerkt, dass das Richtung Dresden befindliche flache Großröhsdorf, im Volksmund kurz und knapp "Gage" genannt, auch noch zur Oberlausitz gehört. Aber bleiben wir im Ort mit dem großen Rathaus. Wo ist denn die Sparkasse geblieben? Die hat sich rausgependelt. Jeder Ohorner kennt den Ratskeller, obwohl der gar keinen Keller hat. Als man das Fehlen bemerkte, wurde im nunmehrigen Bürgerhaus die "Bauernstube" aus der Taufe gehoben.
Nun sollte man aber nicht annehmen, in Ohorn gäbe es keine Kontinuität, also was Bleibendes. Doch, damit kann Ohorn auch aufwarten. Alle zwei Jahre pendelt sich der jeweilige Wirt vom Keglerheim, das auch eine Sauna besitzt, selber weg. Den Rhythmus scheint man beizubehalten.
Außer der Pulsnitz gibt es noch die Röder, die bei Ohorn im Röderbrunn entspringt und erstmals im Buschmühlteich gestaut wird. Kähne stehen parat, um sich seine Zeit auf dem Wasser vertreben zu können. Und wer vor lauter Muskelkater nicht mehr ans Lenkrad will, kann im Restaurant Buschmühle übernachten. Im Sommer gibt's am anderen Ende ein Freibad.
Für Malerinnen und Maler lohnt sich ein Besuch der Silberweidestraße. Kurz vor dem ehemaligen "Gasthof zur Silberweide", jetzt Wünsche's Mini-Markt, steht ein herrliches Fachwerkhaus und die gesamte Straße ist von den Anwohnern sehr liebenswert gestaltet worden. Gegenüber vom Oberlausitzer Umgebindehaus, werden in einer ehemaligen Gärtnerei Disteln und Brennesseln gezüchtet. Darauf muss man erstmal kommen.
Richtung Schleißbergbaude beginnt der Ohorner Oberwald. In einem Buch las ich mal, er sei einer der schönsten Wälder Deutschlands, was ich hiermit bestätigen möchte. Es ist das Landschaftsschutzgebiet Westlausitz. Den Blick Richtung Steina und dem Ohorner Gickelsberg, sollte man unbedingt genießen. Falls ich mich recht erinnere, heißt der Blick dahin "Kleine Sächsische Schweiz". Sollte jemand in der Ferne eine Nadel hochragen sehn, so ist das keinesfalls die "Barbarine", sondern der "Schwedenstein". Der Ohorner Wald ist eine absolute Augenweide, mit seinen Findlingen oder seinem kleinen Steinbruch, wo man auf bergigem Gelände unerwartet einen in Granit gebetteten Teich finden kann. Jahrelang schwamm da unermütlich ein Badeofen rum, vielleicht sollte das eine Granit-Sauna werden.
Wandert man Richtung "Forsthaus Luchsenburg", eine Ausflugsgaststätte mit Ohorner Postleitzahl, wo man ebenfalls übernachten oder Urlaub machen kann, und noch ein bisschen weiter, dem grünen Markierungsstrich und anschließend dem roten Punkt des Wanderweges folgend, kann man in sagenhaften 449 Metern Höhe Findlinge übereinander gestapelt vorfinden. Das sind die Klippen vom Hochstein, die man seit langer Zeit begehen kann. Gute Aussicht für Ohorner gibt's da nicht, da einem die Bäume die Sicht nehmen. Dieser Ort wäre für Caspar David Friedrich sicher interessant gewesen.
Aufgeschrieben von Gastautor Dieter Raedel